Krankenhäuser haben schon seit langer Zeit mit dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu kämpfen. Um den Klinikbetrieb und die Patientenversorgung trotz der angespannten Personalsituation aufrechtzuerhalten zu können, greifen viele Krankenhausträger auf sogenannte Honorarärzte zurück. Hierunter ist nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Tätigkeit eines (meist niedergelassenen) Arztes für das Krankenhaus bzw. andere medizinische Einrichtungen auf freiberuflicher Basis zu verstehen, die meist nebenberuflich und zeitlich auf wenige Tage oder Wochen befristet ist. Die Arbeitseinsätze werden i.d.R. individuell abgestimmt und mit einem vorher festgelegten Stundensatz vergütet, der deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten angestellten Krankenhausarztes liegt.

Sozialversicherungsrechtliche Einordnung umstritten

Die Beauftragung von Honorarärzten war bislang allerdings mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Insbesondere die sozialrechtliche Einordnung der Tätigkeit von Honorarärzten ist Gegenstand zahlreicher (gerichtlicher) Auseinandersetzungen. Im Kern geht es dabei um die sozialversicherungsrechtlich umstrittene Frage, ob Honorarärzte in Krankenhäusern eine selbstständige (d.h. sozialversicherungsfreie) Tätigkeit ausüben oder ob eine abhängige (d.h. sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt. 

Erhebliche rechtliche Risiken

Die rechtlichen Risiken einer falschen Zuordnung sind erheblich: Gelangt der zuständige Rentenversicherungsträger etwa im Rahmen einer Betriebsprüfung (gemäß § 28p SGB IV) zu dem Ergebnis, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt, drohen mitunter hohe Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Im schlimmsten Fall kann sogar die Staatsanwaltschaft vor der Tür stehen und wegen der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen gegen die Verantwortlichen der Klinikleitung ermitteln (§ 266a StGB). Zwar können die rechtlichen Risiken durch die Einleitung eines sogenannten Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle der DRV Bund (§ 7a SGB IV) minimiert werden. Allerdings sind die Statusfeststellungsverfahren i.d.R. nicht erfolgreich, weshalb häufig ein Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang folgt.

Rechtsprechung der Sozial- und Landessozialgerichte uneinheitlich

Die Rechtsprechung der Sozial- und Landessozialgerichte zeigte bislang ein uneinheitliches Bild. Die Gerichte lehnten mehrheitlich eine selbstständige Tätigkeit der Honorarärzte im Krankenhaus mit der Begründung ab, dass die Indizien für eine abhängige Beschäftigung (insbesondere Weisungsgebundenheit und Eingliederung) überwiegen würden. Bei der Ableistung von Bereitschaftsdienst im Krankenhaus vertreten hingegen einige Gerichte die Auffassung, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliege (so etwa LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.12.2017, L 6 R 255/15; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.05.2017, L 11 R 771/15).

BSG schafft Rechtssicherheit

Mit der bislang bestehenden Rechtsunsicherheit ist nun Schluss: Das BSG hat mit Urteil vom 04.06.2019 entschieden, dass Honorarärzte in einem Krankenhaus regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen sind, sondern als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht unterliegen.

Dem BSG lagen insgesamt 11 Verfahren zur Entscheidung vor, die Tätigkeiten im Operationsdienst (mit einem Schwerpunkt bei der Fachgruppe der Anästhesisten), im Stationsdienst (am Tag) und/oder im Bereitschaftsdienst (nachts und am Wochenende) betreffen.

Die bislang veröffentlichte Pressemitteilung des BSG bezieht sich in erster Linie auf den Leitfall zur sozialversicherungsrechtlichen Einordnung einer Anästhesistin, die wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig wurde (Az. B 12 R 11/18 R). Hierzu führt das BSG zunächst aus, dass bei einer Tätigkeit als Arzt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst "höherer Art" ausgeschlossen sei. Entscheidend sei, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert seien. Letzteres sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrsche, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. So seien Anästhesisten - wie die Ärztin im Leitfall - bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Ergänzend weist das BSG darauf hin, dass auch die Tätigkeit als Stationsarzt regelmäßig voraussetze, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen.

Im Übrigen führt das BSG noch weitere Argumente für die Annahme einer Beschäftigung an: Honorarärzte nutzen ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe sei nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten bleiben die Entscheidungsgründe des BSG abzuwarten.

Auswirkungen des BSG-Urteils

Bei dem BSG-Urteil handelt es sich um die erste höchstrichterliche Entscheidung zur Honorartätigkeit von Ärzten im Krankenhaus. Anders als in anderen Entscheidungen (vgl. etwa BSG, Urt. v. 31.03.2017, B 12 R 7/15 R), bewertet das BSG die Höhe des vereinbarten Honorars nicht als gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Vielmehr stellt das BSG entscheidend auf die Eingliederung des Arztes in die Organisation des Krankenhauses ab. Da jedoch Ärzte in Krankenhäusern regelmäßig im Team arbeitsteilig zusammenarbeiten, bleibt für eine selbstständige Tätigkeit von Ärzten nur wenig Spielraum übrig. Vor diesem Hintergrund sollten Krankenhäuser von Honorararztverträgen grundsätzlich künftig Abstand nehmen und schon bestehende bzw. zu schließende Verträge auf die Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des BSG prüfen lassen.

Weitere Entscheidungen erwartet

Das Urteil des BSG bildet den Auftakt zu einer Reihe von weiteren Entscheidungen bzgl. der Honorartätigkeit im Gesundheitswesen. Am 7. Juni 2019 beschäftigt sich das BSG mit den Tätigkeiten von Honorarpflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen. Ein weiteres Verfahren betrifft die Honorartätigkeit einer medizinisch-technischen Röntgenassistentin in einer niedergelassenen Praxis (B 12 R 3/18 R).

Nicole Jesche